19.1 Konjunktiv, Konditional und Bedingungssätze

Zunächst sollte geklärt werden, worum es im Folgenden geht. Schauen Sie sich dazu die folgenden Sätze einmal an.

Beispiele
Wenn er dorthin geht, wird er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin ginge, würde er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gehen würde, fände er später nicht nach Hause.
Wenn er dorthin ginge, fände er später nicht nach Hause.
Wenn er dorthin gehen würde, würde er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gegangen wäre, wird er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gegangen wäre, hätte er später nicht mehr nach Hause gefunden.

Sie sehen, dass die Konstruktion würde + Infinitiv (der Konditional) sowohl im wenn-Teil des Satzes, wie auch im dann-Teil auftritt. Wir sehen also, dass im Deutschen der Konditional den Konjunktiv fast immer vertreten kann.

Es gibt Sprachen, wie etwa Spanisch, Französisch, Italienisch, Persisch, die zwischen dem Konjunktiv und dem Konditional deutlich unterscheiden. Im Gegensatz dazu gibt es Sprachen, wie das Deutsche, wo der Konjunktiv zunehmend mit dem Konditional verschmilzt. Im Englischen, das ist die dritte und ungewöhnliche Variante, wird der Konjunktiv fast vollständig durch den Indikativ ersetzt, was der simplen Tatsache geschuldet ist, dass er, von wenigen Formen abgesehen, mit dem Indikativ identisch ist.

Der Konditional ist eine Form, die hauptsächlich für die Bildung von Konditionalsätzen (zu deutsch: Bedingungssätze) verwendet wird. Diese im Englischen Conditional Clauses genannten Satzkonstruktionen beschreiben die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Handlung in Abhängigkeit von einer anderen. Es gibt, im Deutschen wie im Englischen, drei verschieden Abstufungen, auf die wir später noch genauer eingehen werden.

Der Konditional ist wahrscheinlich in allen Sprachen ein stabiles System, das heißt, dass Menschen, die die jeweilige Sprache als Muttersprache haben, ihn gleich verwenden.

Beispiele
Deutsch: Wenn ich reich wäre, würde ich mir ein Auto kaufen.
Englisch: If I were rich, I would buy a car.
Französisch: Si j' étais riche, je m' achèterais une voiture.
Spanisch: Si fuera rico, me compraría un coche.
Italienisch: Se fosse rico, mi comprerei una máquina.
Persisch: Agar man pul dashtam, yek mashin mikharidam.


Wir sehen also, dass alle Sprachen im Haupteil des Satzes (...., würde ich mir ein Auto kaufen) den Konditional benutzen. Der Konditional ist also ein stabiles System. Er wird in allen Sprachen gleich verwendet.

Völlig anders verhält es sich mit dem wenn-Teil des Satzes (Wenn ich reich wäre, ...): Das Spanische verwendet den Subjunktiv im Imperfekt, das Französische verwendet den Imperfekt im Indikativ,, das Italienische den Subjunktiv Imperfekt; das Deutsche je nach Tageslaune den Konjunktiv II oder den Konditional etc. Da wir uns hier für Englisch interessieren, halten wir fest, dass der englische Konjunktiv der eigentlich hier verwendet wird, zunehmend vom Indikativ verdrängt wird. Über die Details werden wir uns noch unterhalten. (Wir fassen mal zusammen: Eigentlich wird im Englischen in irrealen Bedingungssätzen der Konjunktiv verwendet, da dieser sich aber vom Indikativ nur in sehr seltenen Fällen, die wir noch besprechen werden, überhaupt unterscheidet, ist die Frage, ob das Englische hier mit einem Konjunktiv oder Indikativ konstruiert etwas philosophisch. Nur weil es einige wenige abweichende Formen gibt, ...if I WERE you..., wissen wir, dass es eigentlich ein Konjunktiv ist.)

Wieso aber haben wir im Deutschen eine Verschmelzung zwischen Konditional und Konjunktiv? Das deutsche Regelwerk für die Verwendung des Konjunktivs ist so kompliziert, dass es praktisch nicht mehr beherrscht wird. Machen wir uns das an einem Beispiel klar, das typisch für die deutsche Verwendung des Konjunktivs ist: Die indirekte Rede. Diese Regeln gelten jedoch auch für die Bildung von Konditionalsätzen, die im Bedingungsteil ("Wenn"-Teil) den Konjunktiv verlangen, zumindest theoretisch.

Die drei goldenen Regeln (die leider so goldig nicht sind)
1. Regel: Unterscheidet sich der Konjunktiv I vom Präsens, wird der Konjunktiv I verwendet.
  Er sagt, er sei in die Schule gegangen.
2. Regel: Wenn sich der Konjunktiv I nicht vom Präsens unterscheidet, wird der Konjunktiv II verwendet.
  Er sagt, sie wüßten (nicht wissen, denn das ist identisch mit dem Indikativ) es nicht.
3. Regel: Wenn der Konjunktiv II mit dem Imperfekt identisch ist oder gestelzt klingt, wird mit würde +
    Infinitiv konstruiert.
  gestelzt: Er sagt, sie würden einen Kuchen backen (nicht sie büken).

Faktisch beherrscht dieses Regelwerk niemand, so dass man sowohl schriftlich wie auch mündlich, unzählige Beispiele findet, wo der Konjunktiv I durch den Konjunktiv II ersetzt wurde. Dies geschieht auch dann, wenn der Konjunktiv I eindeutig und auch nicht gestelzt ist, also gar nicht durch den Konjunktiv II ersetzt werden müsste. Man findet auch die Konstruktion mit würde + Infinitiv, obwohl es einen eindeutigen Konjunktiv II gibt. Im Deutschen ist das System des Konjunktivs aufgrund der komplizierten Bildung zusammengebrochen und weitgehend durch den Konditional ersetzt worden. Das hat dazu geführt, dass der Unterschied zwischen Konditional und Konjunktiv nicht mehr gesehen wird, wie Sie vermutlich an den Beispielen zu Beginn dieses Kapitels bereits gesehen haben.

Anmerkung: Sie finden in vielen Grammatiken, dass der Konjunktiv II dann gewählt wird, wenn eine größere Distanz zum Berichteten erzielt werden soll, sich diese zwei Sätze also unterscheiden.

Sie sagte, er sei ein Trottel.
Sie sagte, er wäre ein Trottel.

Diese Ansicht ist zu revidieren. Der Konjunktiv II tritt nach der normativen Grammatik immer dann ein, wenn der Konjunktiv I identisch mit dem Präsens ist. Innerhalb desselben Systems, kann aber eine bestimmte Form nicht mehrere Funktionen haben. Der Konjunktiv II kann nicht gleichzeitig einen Konjunktiv I ersetzen, der mit dem Präsens identisch ist und gleichzeitig Ausdruck größerer Distanz sein. Dies würde bedeuten, dass ein aus rein morphologischen Gründen gewählter Konjunktiv dann auch größere Distanz ausdrückt, der Ausdruck größerer Distanz ergäbe sich dann allein aus einer unklaren Morphologie, wäre als von der Intention des Sprechers völlig abgekoppelt.

Im Englischen ist der Konjunktiv nur noch in Rudimenten und in einigen Redewendungen erhalten. Die bekannteste davon ist sicher: God save the Queen anstatt God saves the Queen.

Hinsichtlich der Verwendung des Konjunktivs ist die Situation noch wirrer, nur in den romanischen Sprachen ist der Konjunktiv (subjonctif, subjuntivo) ein kohärentes System. Vergleicht man die Systeme, ergibt sich folgendes Bild, wobei man nochmal prüfen könnte, wie konsequent eine Funktion in den jeweiligen Sprachen umgesetzt ist.

Die Verwendung des Konjunktivs    
  Deutsch Französisch (Romanische Sprachen) Englisch
Indirekte Rede: Er sagt, er mache es.
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Nichtrealität: Es gibt niemanden, der es nicht wüßte. Il n' y a personne qui ne le sache.
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Höflichkeit: Könntest du mir bitte helfen? Tu pourrais m' aider? Could you help me?
Subjektive Bewertung der Realität: ---- Je veux que tu viennes. I want that you be here. (meistens jedoch auch hier Indikativ.)

Wenn auch der Konjunktiv im Englischen als Form nur noch in wenigen Ausnahmen, zu Deutsch, er unterscheidet sich vom Aussehen her nicht vom Indikativ, existiert, so ist doch seine Funktion weiterhin erhalten. Daher betrachten wir den Konjunktiv hier im Einzelnen, auch wenn einige andere Grammatiken ihn vernachlässigen.




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