Zunächst sollte
geklärt werden, worum es im Folgenden geht. Schauen
Sie sich dazu die folgenden Sätze einmal an.
Beispiele
Wenn er dorthin geht, wird er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin ginge, würde er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gehen würde, fände er später nicht nach Hause.
Wenn er dorthin ginge, fände er später nicht nach Hause.
Wenn er dorthin gehen würde, würde er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gegangen wäre, wird er später nicht nach Hause finden.
Wenn er dorthin gegangen wäre, hätte er später nicht mehr nach Hause gefunden.
Sie sehen, dass die Konstruktion würde + Infinitiv
(der Konditional) sowohl im wenn-Teil des Satzes, wie
auch im dann-Teil auftritt. Wir sehen also, dass im Deutschen
der Konditional den Konjunktiv fast immer vertreten kann.
Es gibt Sprachen, wie etwa Spanisch, Französisch,
Italienisch, Persisch, die zwischen dem Konjunktiv
und dem Konditional deutlich
unterscheiden. Im Gegensatz dazu gibt es Sprachen, wie
das Deutsche, wo der Konjunktiv zunehmend mit dem Konditional
verschmilzt. Im Englischen, das ist die dritte und ungewöhnliche
Variante, wird der Konjunktiv
fast vollständig durch den Indikativ ersetzt, was der simplen Tatsache geschuldet ist, dass er, von wenigen Formen abgesehen, mit dem Indikativ identisch ist.
Der Konditional ist eine
Form, die hauptsächlich für die Bildung von
Konditionalsätzen (zu deutsch: Bedingungssätze)
verwendet wird. Diese im Englischen Conditional
Clauses genannten Satzkonstruktionen beschreiben
die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Handlung in
Abhängigkeit von einer anderen. Es gibt, im Deutschen
wie im Englischen, drei verschieden Abstufungen, auf die
wir später noch genauer eingehen werden.
Der Konditional ist wahrscheinlich in allen Sprachen ein
stabiles System, das heißt, dass Menschen, die die
jeweilige Sprache als Muttersprache haben, ihn gleich
verwenden.
Beispiele
Deutsch: Wenn ich reich wäre, würde ich mir
ein Auto kaufen.
Englisch: If I were rich, I would buy a car.
Französisch: Si
j' étais riche, je m' achèterais
une voiture.
Spanisch: Si fuera rico, me compraría un coche.
Italienisch: Se fosse rico, mi comprerei una máquina.
Persisch: Agar man pul dashtam, yek mashin mikharidam.
Wir sehen also, dass alle Sprachen im Haupteil des
Satzes (...., würde ich mir ein Auto kaufen) den
Konditional benutzen.
Der Konditional ist
also ein stabiles System. Er wird in allen Sprachen
gleich verwendet.
Völlig anders verhält es sich mit dem wenn-Teil
des Satzes (Wenn ich reich wäre, ...): Das Spanische
verwendet den Subjunktiv im Imperfekt, das Französische
verwendet den Imperfekt im Indikativ,, das Italienische den Subjunktiv
Imperfekt; das Deutsche je nach Tageslaune den Konjunktiv
II oder den Konditional etc. Da wir uns hier für
Englisch interessieren, halten wir fest, dass der
englische Konjunktiv der eigentlich hier verwendet
wird, zunehmend vom Indikativ verdrängt wird. Über
die Details werden wir uns noch unterhalten. (Wir
fassen mal zusammen: Eigentlich wird im Englischen
in irrealen Bedingungssätzen
der Konjunktiv verwendet, da dieser sich aber vom Indikativ
nur in sehr seltenen Fällen, die wir noch
besprechen werden, überhaupt unterscheidet,
ist die Frage, ob das Englische hier mit einem
Konjunktiv oder Indikativ konstruiert etwas philosophisch.
Nur weil es einige wenige abweichende Formen gibt,
...if I WERE you..., wissen wir, dass es eigentlich
ein Konjunktiv ist.)
Wieso aber haben wir im Deutschen eine Verschmelzung
zwischen Konditional und Konjunktiv? Das deutsche Regelwerk
für die Verwendung des Konjunktivs ist so kompliziert,
dass es praktisch nicht mehr beherrscht wird. Machen
wir uns das an einem Beispiel klar, das typisch für
die deutsche Verwendung des Konjunktivs ist: Die indirekte
Rede. Diese Regeln gelten jedoch auch für die Bildung
von Konditionalsätzen, die im Bedingungsteil ("Wenn"-Teil)
den Konjunktiv verlangen, zumindest theoretisch.
Die drei goldenen Regeln (die leider so goldig nicht sind)
1. Regel: Unterscheidet sich der Konjunktiv I vom Präsens,
wird der Konjunktiv I verwendet.
Er sagt, er sei in die Schule gegangen.
2. Regel: Wenn sich der Konjunktiv I nicht vom Präsens
unterscheidet, wird der Konjunktiv II verwendet.
Er sagt, sie wüßten (nicht wissen, denn das
ist identisch mit dem Indikativ) es nicht.
3. Regel: Wenn der Konjunktiv II mit dem Imperfekt identisch
ist oder gestelzt klingt, wird mit würde +
Infinitiv
konstruiert.
gestelzt: Er sagt, sie würden einen Kuchen backen
(nicht sie büken).
Faktisch beherrscht dieses Regelwerk niemand, so dass
man sowohl schriftlich wie auch mündlich, unzählige
Beispiele findet, wo der Konjunktiv I durch den Konjunktiv
II ersetzt wurde. Dies geschieht auch dann, wenn der Konjunktiv
I eindeutig und auch nicht gestelzt ist, also gar nicht durch den Konjunktiv II
ersetzt werden müsste. Man findet auch die Konstruktion
mit würde + Infinitiv, obwohl es einen eindeutigen
Konjunktiv II gibt. Im Deutschen ist
das System des Konjunktivs aufgrund der komplizierten
Bildung zusammengebrochen und weitgehend durch den Konditional
ersetzt worden. Das hat dazu geführt, dass der Unterschied
zwischen Konditional und Konjunktiv nicht mehr gesehen
wird, wie Sie vermutlich an den Beispielen zu Beginn dieses
Kapitels bereits gesehen haben.
Anmerkung: Sie finden in vielen Grammatiken, dass der
Konjunktiv II dann gewählt wird, wenn eine größere
Distanz zum Berichteten erzielt werden soll, sich diese
zwei Sätze also unterscheiden.
Sie sagte, er sei ein Trottel.
Sie sagte, er wäre ein Trottel.
Diese Ansicht ist zu revidieren. Der Konjunktiv II tritt nach der normativen Grammatik
immer dann ein, wenn der Konjunktiv I identisch
mit dem Präsens ist. Innerhalb desselben
Systems, kann aber eine bestimmte Form nicht mehrere
Funktionen haben. Der Konjunktiv II kann nicht gleichzeitig
einen Konjunktiv I ersetzen, der mit dem Präsens
identisch ist und gleichzeitig Ausdruck größerer
Distanz sein. Dies würde bedeuten, dass ein
aus rein morphologischen Gründen gewählter
Konjunktiv dann auch größere Distanz ausdrückt,
der Ausdruck größerer Distanz ergäbe
sich dann allein aus einer unklaren Morphologie, wäre
als von der Intention des Sprechers völlig abgekoppelt.
Im Englischen ist der Konjunktiv nur noch in Rudimenten
und in einigen Redewendungen erhalten. Die bekannteste
davon ist sicher: God save the
Queen anstatt God saves
the Queen.
Hinsichtlich der Verwendung des Konjunktivs ist die Situation
noch wirrer, nur in den romanischen Sprachen ist der Konjunktiv
(subjonctif, subjuntivo) ein kohärentes System. Vergleicht man die Systeme, ergibt sich
folgendes Bild, wobei man nochmal prüfen könnte,
wie konsequent eine Funktion in den jeweiligen Sprachen
umgesetzt ist.
Die Verwendung des Konjunktivs
Deutsch
Französisch (Romanische Sprachen)
Englisch
Indirekte Rede:
Er sagt, er mache es.
----
----
Nichtrealität:
Es gibt niemanden, der es nicht
wüßte.
Il n' y a personne qui ne le sache.
----
Höflichkeit:
Könntest du mir bitte helfen?
Tu pourrais m' aider?
Could you help me?
Subjektive
Bewertung der Realität:
----
Je veux que tu viennes.
I want that you be here. (meistens
jedoch auch hier Indikativ.)
Wenn auch der Konjunktiv im Englischen als Form nur noch in wenigen
Ausnahmen, zu Deutsch, er unterscheidet sich vom Aussehen
her nicht vom Indikativ, existiert, so ist doch seine
Funktion weiterhin erhalten. Daher betrachten wir den
Konjunktiv hier im Einzelnen, auch wenn einige andere
Grammatiken ihn vernachlässigen.